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Beitrag vom 13.09.2019
Das Wunder im Meer von Sargasso. Kinostart am 12. September 2019
Helga Egetenmeier
Mischung aus Thriller, Gesellschaftsdrama und Krimi über zwei Frauen (Youla Boudali und Angeliki Papoulia), die durch einen kurzen Moment der Solidarität das männliche Machtgefüge aushebeln. Polizeichefin Elisabeth und die in der Aalzucht arbeitende Rita lernen sich nie wirklich kennen und können es doch schließlich nur gemeinsam in die von ihnen ersehnte Freiheit schaffen.
Ko-Drehbuchautorin Youla Badouli, die selbst die Rita spielt, schrieb damit die Geschichte jener Frauen, die weder durch das einklagbare Gesetz, noch durch im Menschen verankerte moralische Werte dabei unterstützt werden, ihr eigenes Leben zu leben. Seine Weltpremiere hatte "Das Wunder im Meer von Sargasso" auf der Berlinale 2019.
In den patriarchalen Zwängen einer Kleinstadt
Messolonghi sei ein Kaff, in dem niemand freiwillig leben wolle, so die Meinung der ehemaligen Elite-Polizistin, die dort jetzt seit zehn Jahren ihren Dienst tut. Zuvor war sie Teil einer Anti-Terror-Einheit in Athen und hatte als alleinerziehende Mutter eine gute Karriere vor sich. Doch als sie sich als nicht-korrumpierbar erweist, wird sie von ihrem Chef herabgestuft und in die Provinz abgeschoben. Wie ein Thriller startet der Film mit der Stürmung einer Wohnung und zeigt dadurch kurz die Vergangenheit der zielstrebigen jungen Elisabeth. Heute ist sie eine zynische Alkoholikerin und hat eine Truppe männlicher Polizisten unter sich, die nicht viel von einer weiblichen Vorgesetzten halten.
Auf den ersten Blick scheint Rita das Gegenteil zur Polizeichefin zu sein, denn sie ist schon immer an diesen Ort gebunden. In einer der ärmlichen Holzhütten am Strand aufgewachsen, arbeitet sie jetzt in einer Aalzucht und putzt abends für etwas Geld die Kirche. Wortkarg geht sie jeder Auseinandersetzung aus dem Weg. Als ihr selbstverliebter Bruder Manolis in einem Sportwagen an ihrem Arbeitsplatz auftaucht, zeigt sich deutlich, dass sie vor ihm Angst hat. Er ist der Party- und Drogenkönig der Stadt und sie ist die Schwester, die er kontrolliert und über die er seine Macht nicht abgibt.
Zwei Frauen und ihr kurzer Moment der Solidarität
Aller Zukunftsvisionen beraubt, lässt der Film Elisabeth und Rita an einem Ort festsitzen, den irgendwann sogar die dort in der Lagune von Messolonghi lebenden Aale in Richtung des titelgebenden Meers von Sargasso verlassen. Der Film folgt den beiden Frauen mit gegeneinander geschnitten Szenen einen Tag bis spät in die Nacht. Am darauffolgenden Morgen wird Ritas Bruder ermordet am Strand aufgefunden und so treffen in der Mitte der Geschichte die beiden Frauen erstmals aufeinander. Dieses Verbrechen, verbunden mit einem kleinen Akt der Solidarität, erlaubt ihnen der Provinz an der Westküste Griechenlands zu entkommen.
Subtil, und doch eindringlich realitätsnah wird im Film die latent vorhandene Macht des Patriarchats in dieser Kleinstadt dargestellt, denen beide Frauen ausgesetzt sind. Entziehen können sie sich dem nur durch die Missachtung von Gesetz und Moral. Es zeigt sich dabei auch, dass Elisabeth und Rita ihre eigene Vorstellung von Freiheit haben, die sie von den in heterosexuellen Beziehungen lebenden Frauen in dieser Stadt unterscheidet - weshalb für sie auch keine Freundschaften entstehen. Dass sie nicht auf legalem Weg in ihre persönliche Unabhängigkeit gelangen können, arbeitet der Film als gesellschaftliches Manko sehenswert heraus.
Die Aale im Meer von Sargasso
Der Titel des Films stammt von der Metapher des Aals, durch die sich die beiden Drehbuchautor*innen beim Schreiben leiten ließen. Europäische, wie amerikanische Aale, werden geboren und sterben in der Sargassosee, einem großen Meeresgebiet im Atlantik, nördlich von der Karibik und östlich von Florida. Das bedeutet, dass sie für ihren Weg eine große Anstrengung unternehmen müssen, die das Drehbuch analog zu der Anstrengung seiner Protagonistinnen setzt, sich aus ihrer unerträglichen Situation heraus zu begeben. Dazu der Regisseur: "Das ist das Wunder im Meer von Sargasso - dieses plötzliche, an die Substanz gehende, brutal erkenntnisreiche, ungezügelte Verlangen, uns und unsere Lebensumstände drastisch zu ändern."
Am Rande erwähnt sei hier noch, dass es einen literarischen Bezug zwischen dem Meer von Sargasso und Charlotte Brontes viktorianischen Klassiker "Jane Eyre" gibt. Ihre "mad lady in the attic" wird von der postkolonialen Autorin Jean Rhys in ihrem Roman "Wide Sargasso Sea" (1966) als Protagonistin aufgegriffen. Sie erzählt darin die Vorgeschichte von Antoinette Cosway, die aus der Karibik stammt, und kritisiert damit das Unverständnis der britischen Bevölkerung für deren Lebenswelt. So entsteht auch eine Verbindung zu den im Film porträtierten Frauen, die in ihrer Kritik der bestehenden Verhältnisse gegen die Übermacht der konservativen Mehrheit fast verloren erscheinen.
AVIVA-Tipp: Zwei Frauen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, die um ihre Freiheit kämpfen, schaffen es letztendlich nur gemeinsam, ihren gesellschaftlichen Zwängen zu entkommen. Spannend in Szene gesetzt, erzählt der Film die Geschichte der Frauen, die in ihrem sozialen Kontext so stark in eine unterdrückerische Normalität eingebunden sind, dass sie sich ohne solidarische Unterstützung nicht daraus befreien können.
Zum Regisseur und Drehbuchautor: Syllas Tzoumerkas, in Thessaloniki geboren, arbeitet als Drehbuchautor und Regisseur und ist Schauspieler in Film und Theater. Sein erster Spielfilm "Homeland", eine Geschichte über eine Familie und ein Land im freien Fall, wurde in der Critics Week in Venedig 2010 uraufgeführt, sein zweiter Spielfilm "A Blast", das Porträt einer Frau, die Amok läuft, wurde im Wettbewerb des Filmfestivals von Locarno 2014 uraufgeführt.
Zur Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin: Youla Boudali, geboren in Athen, studierte Theater, Film und Schauspiel in Griechenland, Holland, Großbritannien und den USA. Seit 2005 arbeitet sie als Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin für Theater und Kino und war Mitbegründerin der Theatergruppe "Diaspora". Im Jahr 2011 gründete sie das Prosorinos Theatre in Athen für experimentelles Theater und Film. Sie schrieb mit Syllas Tzoumerkas das Drehbuch von "Homeland" und "A Blast" und für Sepideh Farsi "I will cross tomorrow". Als Schauspielerin war sie u.a. in "Homeland", "Babeldom" von Paul Bush, "Aus dem Nichts" von Fatih Akin und "Her Job" von Nikos Labot zu sehen.
Zur Hauptdarstellerin: Angeliki Papoulia, in Athen geboren, studierte an der Universität Athen und der Embros Drama School. Im Jahr 2004 gründete sie zusammen mit Christos Passalis und Yorgos Wallis die Theatergruppe "Blitz", dort ist sie Autorin, Regisseurin und Schauspielerin und tritt damit auf Festivals und Theatern in ganz Europa auf. Für ihre Rolle in Giorgos Lanthimos "Dogtooth" erhielt sie 2009 die Auszeichnung als beste Darstellerin beim Sarajevo Film Festival. An der Seite von Rachel Weisz und Olivia Colman spielte sie 2015 ebenfalls unter der Regie von Giorgios Lanthimos in "The Lobster" und war auf dem 69. Internationalen Filmfestival in Locarno 2016 Jurymitglied des Concorso Cineasti del Presente.
Das Wunder im Meer von Sargasso
Originaltitel: To Thávma tis Thálassas ton Sargassón
Griechenland, Deutschland, Niederlande, Schweden 2019
Regie: Syllas Tzoumerkas
Drehbuch: Youla Boudali, Syllas Tzoumerkas
DarstellerInnen: Angeliki Papoulia, Youla Boudali, Christos Passalis, Argyris Xafis, u.a.
Verleih: Real Fiction
Lauflänge: 121 Minuten
Kinostart: 12.09.2019
Mehr zum Film unter:
www.realfictionfilme.de
Mehr zum Film unter: www.realfictionfilme.de
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